Wer eine chronische Erkrankung hat oder in seinen körperlichen und kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt ist, hat oft einen belegbaren Grad der Schwerbehinderung.
Was jeder ganz individuell daraus macht, ist jedoch ganz unterschiedlich.
Während die eine Gruppe sich als „behindert“ begreift und auch gibt, möchten andere wiederum ein möglichst normales Leben führen – und auch einem geregelten Beruf nachgehen.
Grundsätzlich ist es gesetzlich geregelt, dass Schwerbehinderte dieselben Chancen im Arbeitsmarkt haben müssen – doch in der Praxis ist es oft eine Überwindung, gleich von vornherein anzugeben „ich bin schwerbehindert“, denn das bedeutet auch für den Arbeitgeber, dass er besondere Pflichten zu erfüllen hat.
Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB IX)
Im Sozialgesetzbuch ist per Definition geregelt, wer als behindert und wer als schwerbehindert gilt. Im Gesetz steht dazu Folgendes (Quelle: dejure.org):
(1) Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
(2) Menschen sind im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).
„Gleichstellung“
Grundsätzlich gilt ein Mensch ab einem Behinderungsgrad von 50 Prozent als schwerbehindert. Gleichstellung bedeutet, dass diejenigen mit einem Behinderungsgrad von 30 oder 40 ebenfalls wie Schwerbehinderte behandelt werden und sowohl dieselben Rechte als auch dieselben Vergünstigungen in Anspruch nehmen können. Grundsätzlich wird der Antrag auf Gleichstellung bei der örtlichen Arbeitsagentur gestellt. Doch auch der Arbeitgeber wird dazu gehört.
Eine Gleichstellung wird in der Regel dann genehmigt, wenn ohne Gleichstellung kein Arbeitsplatz erlangt oder behalten werden könnte. Für den gleichgestellten Arbeitnehmer heißt das, dass er unter dieselben Kündigungsschutz-Bestimmungen fällt wie Kollegen mit 50 Prozent Behinderung. Für den Arbeitgeber heißt das, dass der Mitarbeiter einer der fünf Prozent sein kann, die ein Betrieb über 20 Beschäftigten an Schwerbehinderten beschäftigen muss.
„Richtiges“ Verhalten im Bewerbungsverfahren
Ein „richtig“ oder „falsch“ gibt es im Bewerbungsverfahren nicht, jedoch raten Experten dazu, die folgenden Tipps zu beherzigen:
- Wer eine offensichtliche Behinderung hat (z.B. im Rollstuhl sitzt oder eine Amputation hatte), sollte dies im Bewerbungsschreiben angeben. Wer Angst hat, sich die Chance auf den Job zunichte zu machen, sollte spätestens mit Bestätigung der Einladung zum Bewerbungsgespräch dem Ansprechpartner mitteilen, dass er/sie eine Behinderung hat. Das hat allerdings in erster Linie organisatorische Gründe, denn so hat der Personalreferent die Möglichkeit, eine behindertengerechte Gesprächssituation zu schaffen. Wer bereits im Bewerbungsschreiben mit offenen Karten spielen will, kann dies mit diesen Worten tun: „Dass ich seit einem Motorradunfall im Rollstuhl sitze, hindert mich zwar nicht daran, meine Arbeit gut zu machen, jedoch wollte ich Sie diese unübersehbare Tatsache dennoch bereits im Vorfeld wissen lassen.“
- Bei Bewerbungen im öffentlichen Dienst gilt: Hier kann die Angabe einer Schwerbehinderung sogar zum Vorteil werden, denn Personalverantwortliche im öffentlichen Dienst sind stärker als manche Unternehmen dazu angehalten, schwerbehinderte Bewerber bei gleicher Qualifikation eine Chance zu geben. Eine mögliche Formulierung könnte so lauten: „Da Sie bereits in der Stellenanzeige darauf hingewiesen haben, Bewerbungen behinderter Bewerber mit derselben Eignung zu begrüßen, hat mich das zusätzlich motiviert, mich bei Ihnen als ___ zu bewerben.“
- Einen Vorteil hat auch hier, wer sich aus einer ungekündigten Stellung heraus bewirbt. Denn dieser Bewerber kann gut argumentieren, welche Aufgaben er bereits in seiner aktuellen Tätigkeit bestreitet. Wer indes neu in den Beruf startet, sollte besondere Anreize für die Einstellung schaffen. Tipp: Bieten Sie Ihrem Wunsch-Arbeitgeber an, auf Probe zu arbeiten – um ihn so von Ihren uneingeschränkten beruflichen Fähigkeiten zu überzeugen. Eine mögliche Formulierung könnte so lauten: „Aktuell bin ich als Speditionskauffrau tätig. Die körperliche Einschränkung hinderte mich seither nicht, wirtschaftlich und effizient zu disponieren. Gerne möchte ich diese Fähigkeiten nun auch in Ihrem Betrieb einsetzen.“
Schwerbehinderung verschwiegen? Wann muss die Beichte folgen?
Gebeichtet werden muss rein rechtlich betrachtet gar nicht – dann aber hat der Arbeitnehmer auch keinerlei Rechte als Schwerbehinderter. Das bedeutet: Ist sich ein Schwerbehinderter sicher, alle ihm gestellten Aufgaben und im Arbeitsvertrag festgelegten Aufgaben bewerkstelligen zu können, muss dieser Bewerber den Arbeitgeber nicht über die Schwerbehinderung informieren.
Ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2012 besagt, dass der Arbeitgeber das Recht hat, sechs Monate nach Start des Beschäftigungsverhältnissen nach einer etwaigen Schwerbehinderung zu fragen – dann nämlich gilt der besondere Kündigungsschutz. Wer lügt, verwirkt sämtliche Rechte, die Schwerbehinderte in der Arbeitswelt haben. Ob der Betrieb im Bewerbungsverfahren das Recht hat, eine Schwerbehinderung abzufragen, ist nicht eindeutig geregelt.
In Gesetzesform gegossen ist allerdings, dass im Einstellungsverfahren, bei der Karriereplanung, beim Arbeitsverhältnis und bei der Kündigung eines entsprechenden Arbeitsverhältnisses eine Diskriminierung laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten ist.
Bildnachweis: Dan Race/fotolia.com, Picture-Factory/fotolia.com